V. Jahnke
Hals-Nasen-Ohren-Klinik (Direktor: Prof. Dr.
V. Jahnke), Virchow-Klinikum, Humboldt-Universität zu
Berlin
H.-J. Merker
Abteilung für Elektronenmikroskopie (Leiter:
Prof. Dr. H.-J. Merker), Anatomisches Institut, Freie
Universität Berlin
Elektronenmikroskopische
Untersuchungen des menschlichen vomeronasalen Organs
Auszugsweise
vorgetragen auf der 68. Jahresversammlung der Deutschen
Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und
Halschirurgie, Nürnberg, 9. Mai 1997
Das vomeronasale
Organ (VNO) wurde 1811 von dem dänischen Arzt Jacobson
zuerst an Säugetieren entdeckt und ist bei diesen sehr
gut entwickelt. Eine Beschreibung beim Menschen 1703 durch
den Holländer Ruysch blieb lange unbekannt [7]; als paarig
angelegtes akzessorisches Organ der Nasenhaupthöhle ist
es offenbar mehr oder weniger rudimentär meistens vorhanden
[2].
Bei den Mammalia
ist das vomeronasale Organ unentbehrlich für die Reaktion
auf Pheromone und das Paarungsverhalten. Von Einzellern
bis zu Primaten spielen Pheromone als natürlich sezernierte
chemische Lock- und Botenstoffe eine Rolle, sie kontrollieren
das soziale und sexuelle Verhalten zwischen Organismen
derselben Spezies: Pheromon-Markierungen aus dem Urin
sind in der Natur wichtig für die territoriale Abgrenzung.
Zum Anekdotengut gehört, da im Pheromon des Ebers enthaltenes
Androstenon bei der brünstigen Sau ein sehr wirksamer
sexueller Lockstoffist; als Bestandteil von Trüffeln soll
es der Sau helfen, diese Leckerbissen bei der Suche nach
dem Eber für den Gourmet zu finden. Es gibt eine Fülle
von Informationen über die Entwicklung, Morphologie und
Funktion des vomeronasalen Organs im Tierreich; bei den
Mammalia ist es eine gut entwickelte chemosensorische
Struktur für Pheromone [7, 9]. Beim Menschen wurde eine
Funktion bisher nicht dokumentiert; die Kenntnis menschlicher
Pheromone ist noch im experimentellen Stadium.
Nachdem wir schon
vor Jahrzehnten die Feinstruktur der respiratorischen
menschlichen Nasenschleimhaut unter normalen und pathologischen
Bedingungen beschrieben haben [3] und auch das hochspezialisierte
Epithel der menschlichen Riechschleimhaut elektronenmikroskopisch
untersucht wurde [5], ist das menschliche VNO von den
Morphologen lange vernachlässigt worden. Erst mit dem
zunehmenden Interesse an der Neurophysiologie der Riechschleimhaut
und der Diskussion über Pheromone in der ffentlichkeit
und in den Medien hat man sich eingehender mit diesem
interessanten Organ beschäftigt [4,6], welches vom Riechorgan
getrennt ist und ebenso wie dieses in ständigem Kontakt
mit der Umwelt steht.
Zweck
unserer Untersuchungen ist es, die Morphologie des menschlichen
VNO unter funktionellen Gesichtspunkten elektronenmikroskopisch
zu beschreiben.
Material und Methodik
Bei 14 erwachsenen
männlichen und weiblichen Patienten im Alter von 18-47
Jahren, welche sich einer Septumplastik unterzogen, wurde
das VNO licht- und transmissionselektronen-mikroskopisch
untersucht.
Die Proben wurden
in 3%igem Formaldehyd für die Lichtmikroskopie bzw. in
Karnovsky-Lösung für die Elektronenmikroskopie fixiert.
Die Färbungen für die Lichtmikroskopie erfolgten an paraffin-eingebettenen
Präparaten mit Hämatoxylin-Eosin. Die Proben für die Elektronenmikroskopie
wurden in 1%igem OsO4
nachfixiert, mit der aufsteigenden Alkoholreihe (Ethanol
30-100%) entwässert und in Epoxydharz (Epon) eingebettet.
Mit einem Ultramikrotom angefertigte Schnitte wurden mit
Uranylacetet/Bleizitrat nach Reynoids nachkontrastiert;
die Auswertung der Schnitte erfolgte mit einem Zeiss EM-io-Elektronenmikroskop.
Makroskopisch oder
besser durch Nasenendoskopie zeigt sich das menschliche
VNO als ein sondierbarer, winziger paariger Blindschlauch
an der Basis des vorderen Nasenseptums, welcher nach dorsal
in der Nasenschleimhaut verläuft (Abb.1). Lichtmikroskopisch
beobachteten wir eine kanalartige Einbuchtung des Oberflächenepithels,
traubenartig umgeben von zahlreichen, am proximalen blinden
Ende besonders reichlichen exokrinen Drüsen (Abb. 2).
Ausführungsgänge dieser vomeronasalen Drüsen sind mit
dem VNO verbunden. Am Ende der Einsenkung ändert das Epithel
die Morphologie von einem niedrigen mehrstufigen Zylinderepithel
zu einem dicken hochprismatischen Epithel. Die primäre
Einstülpung hat einen Durchmesser von 0,2-2 mm; der Schlauch
ist 2-8 mm lang.
Elektronenmikroskopisch
sieht man in der Tiefe der Invagination verschiedene Zelltypen,
welche sich untereinander und von der benachbarten normalen
Nasenschleimhaut hinsichtlich der Organellenausstattung
und Elektronendichte unterscheiden: Im VNO beobachtet
man neben dunklen Stützzellen helle Sinneszellen mit Mikro-
bzw. Neurofilamenten (Abb. 3a,b); häufige Melaningranula
weisen auf einen ektodermalen Ursprung dieser Zellen hin
(Abb. 4a). Viele der hellen Zellen zeigen Sinnesfortsätze,
Kinozilien sowie zahlreiche Mikrovilli als mögliche Rezeptoren
an der apikalen Zellmembran (Abb. 3c). Die Sinneszellen
haben einen sehr engen räumlichen Kontakt, der darüber
hinaus noch stellenweise durch ausgeprägte Verzahnungen
(Abb. 3d) kompliziert ist. Dieses morphologische Verhalten
weist auf eine Beteiligung beim Flüssigkeitstransport,
besonders bei der Rückresorption. Unter der Basalmembran
in der zellreichen und stark vaskularisierten Lamina propria
finden sich zahlreiche markhaltige und marklose Nerven.
Die Gefäe (Abb. 4c,d) zeigen endothelspezifische osmiophile
Granula, welche wahrscheinlich eine Funktion für die Blutgerinnung
haben. Die Feinstruktur der vomeronasalen Drüsen mit vorwiegend
aus elektronendichten Granula bestehenden Sekretionsprodukten
weist auf einen serösen Typ der Sekretion hin, im Sinne
von Spüldrüsen (Abb. 4b); daneben sind auch aufgelockerte
Granula zu erkennen, welche typisch für muköse Drüsenzellen
sind.
Diskussion
Die hier unabhängig
von Alter und Geschlecht beschriebenen sehr komplizierten,
im menschlichen Körper einzigartigen morphologischen Befunde
lassen vermuten, da beim Menschen ein funktionsfähiges
Sinnesepithel im Sinne eines vomeronasalen Organs vorhanden
ist. Dafür sprechen vor allem die hellen Epithelzelltypen
mit Neurofilamenten und Mikrovilli, die zahlreichen subepithelialen
Nerven und die gut entwickelten Spüldrüsen.
Helle Zellen mit
Mikrovilli sind das dominierende Element im menschlichen
vomeronasalen Organ und als chemosensorische Struktur
anzusehen. Morphologisch ähnliche Zellen wurden als Rezeptor
für die Reaktion auf Pheromone im vomeronasalen System
niederer Tiere beschrieben; helle Zellen mit ähnlicher
Struktur findet man typischerweise in der menschlichen
Riechschleimhaut [8].
Für eine Perzeption
von Pheromonen stellt das dünnflüssige wasserreiche Sekret
der serösen Spüldrüsen möglicherweise das Medium dar,
welches die leicht lösbaren, schnell diffundierenden und
flüchtigen Pheromone zu den Sinneszellen des Organs transportiert;
die Spüldrüsen könnten das Organ sauberhalten und auch
das für die Adsorption flüchtiger chemischer Substanzen
notwendige externe Milieu gewährleisten [4]. Bei den Mammalia
wird ein Ansaug- oder Pumpmechanismus während der Inspiration
mittels der starken Vaskularisierung diskutiert [4, 9J:
Das Tier hebt beim ?Flehmen" den Kopf und zieht durch
den Pumpmechanismus die Flüssigkeit in das Lumen des VNO,
um aktiv die sensible Perzeption zu verstärken; möglicherweise
spielt auch die Eindickung der Flüssigkeit im Lumen durch
Rückresorption eine verstärkende Rolle.
Das hier im VNO
des Menschen beschriebene Sinnesepithel unterscheidet
sich elektronenmikroskopisch ebenso wie bei anderen Mammalia
[7] in wesentlichen Details vom Riechepithel. Feinstrukturell
sind die Zellen im menschlichen vomeronasalen Epithel
aber auch nicht identisch mit den bei anderen Mammalia
im vomeronasalen Organ beschriebenen chemorezeptorischen
bipolaren Neuronen [6]. Beim Menschen wird das VNO von
der embryonalen Nasenschleimhaut gebildet und ist regelmäig
gut entwickelt beim Embryo, Fetus und Neugeborenen, mit
einer maximalen Entwicklung in der 20. Schwangerschaftswoche
(SSW) [i]. Pränatal sind auch gut definierte vomeronasale
Nerven paarig auf jeder Seite des Septums vorhanden, welche
sich vor dem Erreichen des vomeronasalen Organs stark
aufzweigen und zu einem akzessorischen Lobus olfactorius
in Beziehung stehen sollen. Evolutionär und embryologisch
interessant ist der Nachweis des vomeronasalen Organs
mit Foramina für die vomeronasalen Nerven am Nasenseptum
bei 2 Patienten mit congenitalem Fehlen von Nasenhaupthöhle,
primären Riechnerven und Bulbi olfactorii mit entsprechender
Anosmie und Ageusie bei normaler Intelligenz [i]; dies
könnte die Persistenz eines fetalen Zustands sein.
Unsere elektronenmikroskopischen
Befunde lassen vermuten, da ein funktionsfähiges Sinnesepithel
im Sinne eines VNO beim erwachsenen Menschen meistens
vorhanden ist. Andererseits mu eine funktionelle Bedeutung
des relativ kleinen menschlichen VNO für die Reaktion
auf Pheromone noch geklärt werden, ebenso die möglichen
zentralen Verbindungen zum Hypothalamus.
Die Kenntnisse
über menschliche Pheromone sind noch gering; sie werden
wahrscheinlich in der Haut produziert und sind wohl vor
allem im Schwei der Axilla vorhanden, welche eine symbolische
erotische Attraktivität hat, wie zahlreiche Kunstwerke
zeigen.
Für weitere Untersuchungen,
mit dem Ziel einer Korrelation von Morphologie und möglicher
Funktion, ist die Kenntnis der hier beschriebenen Feinstruktur
eine unentbehrliche. Grundlage. Klinisch und medikolegal
signifikant könnte die Erhaltung des VNO, des vielleicht
6. Sinnesorgans, bei funktionserhaltenden endonasalen
Operationen sein.
Das VNO ist beim
Menschen zumindestens rudimentär meistens vorhanden. Die
einzigartigen morphologischen Befunde sprechen für ein
Sinnesepithel, dessen Bedeutung aber nicht bekannt und
dessen mögliche zentrale Verbindungen beim Erwachsenen
bisher nicht nachgewiesen worden sind. Obgleich das vomeronasale
Organ durch seine Lokalisation im Bereich der typischen
Schnittführung und Präparation bei der Septumplastik leicht
verletzt werden kann, ist seine Erhaltung bei endonasalen
Operationen klinisch und medikolegal bisher nicht bedeutsam,
so da eine entsprechende Aufklärung bei der Einverständniserklärung
nach dem jetzigen Erkenntnisstand nicht notwendig erscheint.
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